Ich komme gerade aus Moskau. Mein Freund Micha holt mich vom Flughafen ab. Die nächsten Tage schlafe ich bei ihm in der Yuppie-WG. „Na, Herr Helmbrecht? Willkommen in Berlin!“, begrüßt er mich. Es ist schön, überall Freunde zu haben und nicht im Hotel schlafen zu müssen. „Was gibt’s Neues?“, frage ich. „Wir haben eine neue Mitbewohnerin in unserer WG“, sagt Micha begeistert. „Die wird dir gefallen.“ – „Meinst du?“ – „Ja, die ist voll dein Fall. Eine Frau mit Klasse.“
Na ja, mal sehen. Ich erinnere mich an ein Geschäftstreffen in Moskau, die Woche vor meiner Abreise. Dominik holt mich von der Rezeption ab und bringt mich in den Konferenzraum. „Du triffst heute Frau Helmbrecht“, meint er beiläufig. „Superschön, Model und so. Voll dein Fall!“ Fünf Minuten später treffe ich meine Gesprächspartnerin, und es ist … na ja, sagen wir mal, nicht Frau Helmbrecht. Die ersten zehn Minuten warte ich noch darauf, dass die Tür aufgeht und meine Traumfrau hereinkommt. Dann verstehe ich endlich, dass Dominik sich einen Scherz erlaubt hat. Er sitzt mir gegenüber und kann sich das Grinsen nicht verkneifen.
„Und was ist das für eine, eure neue Mitbewohnerin?“ – „Sie ist Kroatin. Ärztin an der Charité. Wohnt seit einer Woche bei uns. Wir sind sehr froh, sie gefunden zu haben.“ – „Na, mal sehen.“ Später, bei Micha zu Hause, lerne ich sie dann kennen. Anika heißt das Mädel. Sie ist ganz nett, aber auf den ersten Blick nicht so mein Fall. Anika kocht Pasta, und ich packe die mitgebrachte Flasche Wodka aus. Wie immer sitzen wir im Wohnzimmer zusammen und reden. Nach ein paar Wodkas wird die Runde fröhlicher. Anika sitzt nun bei uns. Wir reden über Gott und die Welt. Sehr oft über Gott, denn Anika ist katholisch und sehr gläubig. Sie erzählt uns von ihren Reisen und wie sie den Jakobsweg genommen hat.
Später kommen wir auf das Thema Fliegen. „Anika, hast du einen Pilotenschein?“ – „Ja, über 500 Stunden Flugerfahrung.“ – „Bla bla“, denke ich und stelle Detailfragen, aber sie kann diese ohne Probleme beantworten, und ich bin schnell in der Defensive.
„Ach, du spielst Golf?“, fragt Anika. „Ich habe ein Handicap von 2.“ – „Wow, ich habe seit Jahren nur 54 und komme mit drei- bis viermal Spielen im Jahr auch nicht weiter runter.“ Überhaupt kann die Frau alles besser als ich. Wir wechseln von einem Thema ins andere, und immer hat Anika etwas dazu zu sagen. Die Frau scheint tatenkräftig zu sein und superintelligent dazu. „Macht dir das Angst?“, fragt sie. – „Nein, ich habe kein Problem damit, dass andere Leute besser und intelligenter sind als ich.“ – „Und dass ich eine Frau bin?“ – „Warum soll das ein Problem sein? Im Gegenteil, das macht dich interessant.“ – „Gut“, meint sie und grinst über beide Ohren. Flirtet sie nun mit mir? „Die meisten Männer haben ein Problem damit, dass ich stark und intelligent bin“, meint sie.
Später kommt Michas andere Mitbewohnerin dazu. Wir sitzen zusammen, trinken Wein und Wodka, reden bis tief in die Nacht. Es ist interessant, Anika zuzuhören. Die Woche darauf plant die WG ein Thanksgiving-Dinner. „Ich habe noch ein paar Sachen für das Thanksgiving-Dinner bestellt“, meint Anika. „Das ist doch okay, oder?“ – „Was denn?“, fragen die beiden Mitbewohner. „Ein paar Servietten. Dann war ich noch im Stilwerk und habe neues Besteck gekauft.“ – „Aha“, Micha staunt und denkt: Wer soll das bezahlen? Sie antwortet, als könnte sie seine Gedanken lesen: „Keine Angst, ich bezahle das und die anderen Sachen auch.“ – „Was für andere Sachen?“ – „Einen größeren Tisch, neue Stühle, einen neuen Kühlschrank …“ Die Liste wird lang, die Gesichter der beiden WG-Bewohner auch.
Am Ende ist es still. Ich breche das Schweigen und frage, wie viel sie denn nun ausgegeben hat. „75.000 Euro“, antwortet Anika wie selbstverständlich. „Wird alles nächste Woche geliefert.“ Die anderen beiden am Tisch sind immer noch sprachlos.
„Wer bist du? Wie kommst du zu so viel Geld?“, frage ich. „Meine Familie ist wohlhabend, ich arbeite nur zum Spaß, deswegen bin ich auch Ärztin geworden und in die Krebsforschung gegangen. Ich will Gutes tun.“ Die Frau wird mir immer sympathischer, und langsam gehe ich auf ihr Flirten ein. Es ist nicht das Geld. Sie hat mir vorher schon imponiert, aber um ehrlich zu sein, ist das sicher noch ein Plus.
Sie ist nett, fliegt, ist superintelligent und hat auch noch Geld. Irgendwie erinnert mich das alles an Emily, meine 40-Millionen-Dollar-Frau. Die habe ich damals ziehen lassen. In der Zwischenzeit habe ich das schon oft bereut. Ich dachte, ich bleibe mir und meinen Werten treu. Ein Leben als Millionär, so ganz ohne finanzielle Sorgen und Arbeit zum Spaß, wäre im Nachhinein betrachtet, nun doch gar nicht so schlecht. Außerdem war Emily im Bett eine Granate. Na ja, egal. Sie hat zwischenzeitlich einen anderen geheiratet und sogar gerade ein Kind bekommen.
Überhaupt heiraten im Moment alle um mich herum. Meine „große Liebe“, zumindest bilde ich mir das ein, hat mich letzte Woche auf Facebook kontaktiert. Das Leben ohne sie war gut. Mein Herz hat lange geblutet, nachdem sie mich verlassen hat. Langsam, ganz langsam bin ich über sie hinweggekommen. Glaubte ich. Es war die Eine. Die wäre es gewesen, denke ich heute immer noch sehr oft. Dann war sie plötzlich komplett aus meinem Leben verschwunden. Keine E-Mails und kein Lebenszeichen. Fünf Jahre später bekomme ich eine Nachricht auf Facebook, und schon fängt mein Gehirn wieder an zu ticken. Zwei Klicks weiter finde ich heraus, dass sie nun ein Kind hat, und irgendwie bin ich enttäuscht. Anscheinend habe ich bis heute die Hoffnung nicht aufgegeben, sie doch noch zu bekommen. Dabei ist das alles nur Fantasie. Sie ist und war nicht das, was ich in ihr sehe. Komisch, wie man sich oft selbst betrügt.
Nun sitzt mir dieses Goldmädchen gegenüber, und langsam gefällt sie mir. Sie setzt die richtigen Signale und imponiert mir jede Minute mehr. Irgendwann redet sie vom Skifahren. „Ich habe ein Haus in Frankreich“, meint sie. – „Wo denn?“, frage ich. – „In La Grave.“ Volltreffer! Ich war früher oft in La Grave. Es ist für mich einer der schönsten Flecken in den Alpen, aber auch einer der extremsten. Nichts für Anfänger. Dort trifft sich die Elite der Extremsportler – vom Skifahrer, Snowboarder, Eiskletterer bis zum Basejumper. Alle sind dort. Manche für Tage und Wochen, andere die ganze Saison. Ich wollte schon immer ein Haus in La Grave kaufen. Und nun sitzt mir Anika gegenüber und meint, sie hat dort ein Haus. „Wir sollten mal zusammen nach La Grave fahren“, sagt sie grinsend.
Den Tag darauf habe ich einen dicken Kopf. Ich sitze im Flieger nach Köln und bin nach nur drei Stunden Schlaf immer noch ziemlich betrunken. Das kann ja ein Meeting werden. Als ich im Bus zum Terminal stehe, klingelt das Telefon. Micha ist dran. „Hat sie gestern wirklich gesagt, dass sie Sachen für 65.000 Euro gekauft hat?“, fragt er. – „Nein, für 75.000“, antworte ich. – „Irre! Wusstest du, dass sie so wohlhabend ist?“ – „Nein, ich hatte keine Ahnung, bis gestern.“ – „Aber was macht so eine Frau in einer WG? In einem 10-qm-Zimmer?“ Wir verstehen es beide nicht, aber wir finden sie nett. Beim Bewerbungsgespräch hat sie die richtigen Signale gesetzt. Es passt sonst alles, und sie wird schon ihre Gründe haben.
Ich verbringe den folgenden Abend in Berlin mit Anika alleine. Wir haben wieder eine sehr gute Unterhaltung. Dieses Mal stellt sie mir sehr persönliche Fragen, und ich beginne, über mich selbst nachzudenken. Wo stehe ich? Wo will ich hin? Habe ich immer noch konkrete Ziele? Am Ende fragt sie mich, was ich machen würde, wenn ich viel Geld hätte. Ich kann die Frage nicht beantworten, und irgendwie ist sie mir peinlich. Es klang fast wie ein Angebot.
Am nächsten Tag muss ich zurück nach Moskau. Es ist Donnerstag, und am Abend gehen meine Freunde ins Cookies. Ich hatte Anika davon erzählt und ihr gesagt, wie gerne ich noch einen Tag länger geblieben wäre. Sie wäre auch gerne dabei gewesen, also rufe ich meine Freunde an und frage, ob sie sie mitnehmen können. Dabei erzähle ich natürlich davon, wie die Frau mir imponiert, und von der 75.000-Euro-Einkaufstour erzähle ich auch.
Freitag bin ich zurück in Moskau. Ich sitze im Büro am Rechner, als sich mein Freund meldet. Auch er ist von Anika begeistert. Kurz funkt mich Anika auf Skype an. Auch sie findet meinen Freund klasse und will von mir mehr über ihn wissen. Ich bin ein klein wenig enttäuscht. Na ja, so ist das eben. Ich habe den Kürzeren gezogen, aber wenn wenigstens mein Freund glücklich ist, dann ist das okay. Wahrscheinlich bin ich nicht gut genug gewesen. Dann verwerfe ich den Gedanken wieder. Außerdem hatte ich mich selbst gebremst und Anika nie wirklich Interesse gezeigt.
Ich sitze zuhause am Rechner, als Anika mich auf Skype anfunkt. „Du“, sagt sie begeistert, „deine Freunde sind echt klasse. Ich glaube, ich habe mich verliebt!“
Irgendwie bin ich enttäuscht. Ich schreibe belanglose Antworten und denke über mich selbst nach. Ist es verletzte Eitelkeit? Hatte ich Gefühle entwickelt, oder ging es mir nur ums Geld? Warum sonst wäre ich jetzt enttäuscht? Es ist einer dieser Momente, in denen man sich selbst nicht mehr mag. Am Ende bin ich noch mehr enttäuscht und versuche, Anika loszuwerden, doch die redet munter weiter. Irgendwann sage ich, dass ich müde bin und ins Bett muss. Ich lege auf und denke weiter über mich selbst nach, bis ich einschlafe.
Die nächsten Tage höre ich immer wieder von Anika. Manchmal ist sie im Krankenhaus und skypt in ihrer Pause, dann ist sie wieder zuhause. Sie schreibt mir Details von den Treffen mit meinem Freund und fragt mich aus. Ich nenne besser keine Namen und schreibe jetzt nur noch von „meinem Freund“. Sie meint, dass es da nun einen zweiten Typen gibt und sie sich nicht entscheiden kann. Nein, es ist mein Freund, der sich nicht entscheiden kann. Sie hätte ihn schon gerne, aber er kommt eben nicht in die Gänge. Sie redet, als ginge es um den Mann ihres Lebens. Den Traummann. Den Soulmate. Denjenigen, den sie heiratet. Und anscheinend hat sie es eilig. „Willst du denn Familie und Kinder?“, frage ich. „Ja, ganz sicher“, antwortet sie bestimmt.
Zwei Wochen später erzählt mir Micha, dass auch einer seiner Freunde „sehr angetan“ von Anika ist und dieser sie in die Oper eingeladen hat. Hm, in der Oper war sie doch auch gerade mit meinem Freund. Die Frau geht aber gerne in die Oper. Irgendetwas an ihr stört mich, aber ich lege diese Gedanken schnell wieder zur Seite, denn ich glaube, es geht um meine verletzte Eitelkeit.
Dezember. Meine Russisch-Lehrerin Natascha kam gerade und wir gehen die Hausaufgaben durch, als das Telefon klingelt. Micha ist am anderen Ende. Er meint, es wäre wichtig, also bitte ich Natascha um eine Pause. Sie sitzt neben mir und hört zu. „Ich brauche deinen Rat“, meint Micha. „Irgendetwas stimmt nicht mit Anika.“
„Was meinst du?“, frage ich.
„Ihre Geschichten passen oft nicht zusammen, und es gibt Widersprüche. Sie ist gerade in New York.“
„Und? Was ist daran ungewöhnlich?“, frage ich.
„Sie emailt uns fast täglich. Will wissen, was sie uns mitbringen soll. Sie drängt, obwohl wir gar nichts wollen.“
„Und?“, frage ich. „Ist doch nett.“
„Am Ende haben wir sie gebeten, etwas mitzubringen, und jetzt meldet sie sich nicht mehr. Sie hat uns das ja förmlich aufgeschwatzt.“ Micha meint, er hätte dann die IP-Adresse ihrer Mails gecheckt.
„Und?“
„Die IP-Adresse ist in Kassel“, sagt Micha. „Sie ist also nicht in New York!“
Anika hatte letztens Besuch von einem älteren Ehepaar aus Kassel. Das waren ganz ordentliche Leute. Ganz solide. Er ist Dekan. Angeblich sind das Freunde ihrer Familie. Die Miete wurde letzten Monat auch zum Teil aus Kassel überwiesen. „Mir ist es ja egal, wo sie ist, und es geht mich auch nichts an, ob sie wirklich nach New York fliegt oder nicht. Sie kann doch hinfahren, wohin sie will“, regt Micha sich auf. „Warum redet sie dann ständig davon, dass sie mir etwas mitbringen will? Da ist was faul, sag ich dir.“
Wir reden noch ein paar Minuten und gleichen unsere Anika-Geschichten ab. Vieles passt nicht zusammen. Mist, denke ich. Ich muss meinen Freund warnen. Natascha hört aufgeregt zu. Es muss sich wie ein Krimi anhören.
Nach meiner Russisch-Stunde rufe ich meinen Freund an. Ich erzähle ihm alles, und er ist schockiert. Anika hat ihn wegen einer Familienangelegenheit mit ins Krankenhaus begleitet und sich dort als Ärztin der Charité ausgegeben. „Meinst du, dass das auch nicht stimmt?“, fragt er verunsichert. Mein Freund ist hin- und hergerissen. Anika hat wohl in der Zwischenzeit ein sehr tiefes Vertrauensverhältnis zu ihm und seiner Familie aufgebaut. Dieses ist nun in tausend Stücke zerbrochen. „Es tut mir leid“, sage ich leise. Es war das erste Mal, aber ich werde es noch öfter sagen.
„Was tut dir leid?“, fragt er.
„Dass ich sie dir vorgestellt habe“, sage ich schuldbewusst.
„Und nun?“, fragt er.
Ich fühle mich verantwortlich. Anika hat mittlerweile auch seinen Freundeskreis eingenommen und sogar versucht, Geschäfte mit einigen seiner Freunde anzubahnen.
„Was für Geschäfte?“, frage ich.
„Aus den Geschäften wurde nichts“, meint er, „weil sie sich einfach unvermittelt aus dem Staub gemacht hat. Schaden hat sie aber trotzdem verursacht, weil meine Freunde zwischenzeitlich anderen Interessenten abgesagt hatten.“
Noch am Abend rufe ich ein paar Kontakte an, versuche etwas von meinen serbischen und kroatischen Bekannten herauszubekommen. Doch da kennt man sie nicht. Dann rufe ich einen alten Kollegen bei der Polizei an. Doch der darf mir auch nichts sagen. „Ich glaube, die Frau hat Dreck am Stecken“, sage ich. „Jemand, der so auf den Putz haut und dann in einer WG wohnt – das passt nicht. Vielleicht ist sie zur Fahndung ausgeschrieben. Vielleicht zur Aufenthaltsermittlung. Sich als Arzt auszugeben, ist Titelmissbrauch. Außerdem könnten Betrugsdelikte vorliegen.“ Der vage Verdacht allein reicht aber anscheinend nicht aus, um eine Antwort zu bekommen. Mein Ex-Kollege zögert, und ich lasse ihn in Ruhe. Na ja, wahrscheinlich ist ihr Name ohnehin nicht richtig. Ich habe Vor- und Nachnamen gegoogelt, und Anika erscheint erst ab Oktober 2008 im Internet. Fast hätte ich sie in die Elite-Communities Small World und Schwarze Karte eingeladen. Ich bin froh, dass ich es nicht gemacht habe, denn dann hätte sie noch mehr meiner Bekannten ansprechen und ausnutzen können.
Einen Monat später bin ich in Berlin. Anika ist ausgezogen. Sie hatte die Miete wieder nicht bezahlt, und die letzten Wochen hat sogar ihr Bruder bei ihr gewohnt. Das war dann zu viel, und ihre Mitbewohner haben sie vor die Tür gesetzt. Vorher hat sie noch brav die Miete des letzten Monats gezahlt, weil man ihr mit der Polizei gedroht hat. So viel Glück hatte mein anderer Freund nicht. Anika hat sich dort und auch bei anderen Geld geliehen und ist nun untergetaucht.
Es ist Mittag, und wir haben Lunch beim Thai. Ich sitze meinem Freund gegenüber. Wir reden über Anika. Er schaut mich fast vorwurfsvoll an.
„Hast du wenigstens mit ihr geschlafen?“, frage ich.
Mein Freund ist ein Gentleman. Er grinst und schweigt.
„Es tut mir leid. Ehrlich. In Zukunft werde ich vorsichtiger sein, wenn ich Leute zusammenbringe. Auf der anderen Seite kannst du mir nicht wirklich einen Vorwurf machen. Ich habe dich lediglich gefragt, ob du sie einen Abend mit ins Cookies nehmen kannst. Ich konnte doch nicht wissen, dass ihr euch so nahe kommt. Außerdem bin ich genauso auf sie hereingefallen, und wäre ich nicht nach Moskau zurückgeflogen, dann wäre sonst was passiert. Mann, es tut mir wirklich leid. Lass uns das bitte beiseitelegen.“
Er nickt schweigend.
„Für mich ist die Sache damit erledigt“, füge ich hinzu.
Wir zahlen und trennen uns. Gott sei Dank als Freunde.
Ein paar Tage später klingelt das Telefon. Die Anika-Geschichte verfolgt mich immer noch. Micha ist am Apparat.
„Es kam ein Brief vom Staatsanwalt für Anika“, meint er.
„Und was steht drinnen?“, frage ich.
„So etwas mache ich doch nicht auf. Der geht postwendend zurück.“
„Gut, damit ist die Sache für mich erledigt“, erkläre ich nun auch Micha. „Ich will nichts mehr von oder über Anika hören!“
Nein, nicht ganz. Ich muss Anika noch aus meinen Facebook-Kontakten löschen. Das war’s dann. Wir werden wohl nie herausbekommen, wer Anika wirklich ist. Vielleicht eine Hochstaplerin? Krank? Schizophren? Früher war ich offener. Es gab die Zeit vor Anika, in der habe ich immer versucht, gute Leute zusammenzubringen. Ich gebe zu, oft auch ein bisschen leichtfertig. Heute bin ich vorsichtiger. Man müsste jeden neuen Bekannten durchleuchten, doch dazu braucht man viel zu viel Zeit. Zumindest werde ich in Zukunft seinen Namen googeln, und wenn ich nichts finde, dann bin ich vorsichtig. Komisch, in was für einer Zeit leben wir eigentlich? Vor zehn Jahren wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, den Namen eines neuen Bekannten in eine Suchmaschine einzugeben.