Auf einem Streifzug durch das Herz des Hip-Hop: Graffiti, Beats, Rhymes und das Leben im Ghetto von Brooklyn. Hier treffen sich Träume vom Reichwerden mit der harten Realität ganz unten in der amerikanischen Gesellschaft.
Brooklyn – das denken viele New York-Kenner: ein cooles Viertel voller Galerien, Cafés und hipper Leute in Gegenden wie Brooklyn Heights, Williamsburg oder Dumbo, gleich auf der anderen Seite des East Rivers. Doch Brooklyn ist groß, und nicht alle der über 90 Neighborhoods sind so schick. Bushwick, Flatbush und East New York sind Beispiele für Viertel, die rau geblieben sind. Bushwick zum Beispiel ist ein Ort, an den ich allein nicht gehen würde.
In meiner Firma arbeitete damals ein Designer, John, der auch Teil der Graffiti- und Freestyle-Hip-Hop-Szene war. Ein echter New Yorker, puertoricanischer Abstammung, aufgewachsen in der Lower East Side. Eines Sommertags sprühten wir gerade meinen VW-Bus in Brooklyn, als John mich fragte, ob ich ihn „kurz um die Ecke“ zu ein paar Freunden fahren könnte.
Schon bei der Anfahrt wurde es mir mulmig. Heruntergekommene Häuser mit zugenagelten Fenstern, ausgebrannte Wracks auf den Straßen, die wenigen Leute musterten mich feindselig. Als weißer „Skinny“ war ich hier nicht willkommen – außer, ich war unter dem Schutz meines Homeboys John.
Wir hielten vor einem dieser Häuser. „My boys are having a session. Come join us,“ sagte John. Nach einigem Zögern ließ ich mich überreden. So eine Gelegenheit bekam ich nicht oft. Das Haus war ein Bild des Verfalls: vernagelte Fenster, im ersten Stock ein paar schwarze Jungs mit ihren „Latina Chicas“. Ich wurde nicht gerade herzlich empfangen, aber meine Tattoos sorgten zumindest für Respekt – ein Zeichen der Zugehörigkeit in solchen Kreisen.
Erst als John mich als „Painter“ aus Deutschland vorstellte, tauten die Jungs auf. Wir redeten ein bisschen im Slang, und die Atmosphäre entspannte sich. Die Chicas hingegen musterten mich weiterhin herablassend, während sie gelangweilt auf den laufenden Porno schauten.
Wir gingen ins Schlafzimmer, das zum improvisierten Tonstudio umfunktioniert war. Ein DJ-Pult, teures Equipment – hier wurde Musik gemacht. Einer der Jungs war angeblich mit der Gruppe ONYX verbunden. Der erste Blunt machte die Runde, eine Zigarre, die mit Marihuana gefüllt war. Ich nahm einen Zug und hustete mich fast zu Tode. Das brach das Eis endgültig.
Eine CD wurde eingelegt, Beats füllten den Raum, und die Jungs fingen an zu freestylen. Rhymin’ nennen sie das, wenn sie ohne Vorbereitung über das rappen, was sie bewegt: das Leben, Frauen, Drogen, die Straße, den Traum vom schnellen Geld. Immer wieder wechselte das Mikrofon die Hände. Nur ich lehnte dankend ab – Rappen ist nicht mein Ding.
Immer wieder kamen und gingen neue Leute. Einer war vielleicht 16, tätowiert, mit finsterem Blick. Meine Anwesenheit störte ihn sichtlich, und er machte keinen Hehl daraus. Schließlich entschuldigten sich die anderen, er sei jung und ein bisschen schwierig. Passt schon, ich hatte ohnehin nicht vor, ewig zu bleiben.
Für eine Stunde war ich kein Außenseiter, sondern ein Freund. Einer von ihnen, akzeptiert in einer Subkultur, die weit mehr ist als nur Musik. Hip-Hop ist ein Lifestyle, geboren im Ghetto, der um die Welt ging – nach Brasilien, Paris, Mecklenburg-Vorpommern. Es ist eine rohe Sprache, die die Realität spiegelt: Gewalt, Armut, Träume, Zusammenhalt, Liebe.
Am Ende verließ ich das Haus und kehrte zurück in mein Manhattan-Leben: East Village Apartment, Café Latte, Yuppie- und Model-Freunde. Doch diese Erfahrung werde ich nie vergessen.
Ich bin kein Hip-Hopper, komme nicht aus dem Ghetto, aber ich habe die Musik verstanden. Seitdem höre ich genauer hin, versuche die Geschichten zu begreifen. Gerade läuft ein jazzig-chilliger East-Coast-Track von Mos Def auf meiner Anlage. Kein R&B-Pop-Kram, sondern echter Brooklyn-Sound. Straight outta the streets.
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