Es ist eine Weile her, dass ich in New York war. Früher war es mein Zuhause, und wer hätte gedacht, dass ich es einmal gegen Moskau eintauschen würde. Ich liebe New York immer noch sehr und bin gerne im Village und der Lower East Side, den Stadtteilen, in denen ich lebte. „Manhattan, dieses laute Monster. Wie kann man nur gerne hier wohnen?“, frage ich mich, als ich aus der Praxis meines Kunden an der Park Avenue komme. Der Jetlag setzt mir immer noch zu, und Neal, mein Kunde, beginnt den Tag gerne frühmorgens mit Meetings. Er ist der Hautarzt der Reichen und Schönen in New York. Unter der Hand erzählt er mir, dass er sein Geld hauptsächlich mit Botox und anderen verjüngenden Anwendungen macht. Schlecht scheint das nicht zu laufen, denn Neal gehört zur New Yorker High Society. Er hat ein Haus draußen in New Jersey mit eigener Landebahn und einem Hangar für sein Flugzeug. Sein Sohn geht auf eine Elite-Universität, und Neal leistet sich seine eigene Firma für teure Hautcremes und Anwendungen. Wir haben uns vor Jahren kennengelernt, als ich noch in New York lebte. Schon damals beriet ich ihn und kümmerte mich um seine Website und seinen Online-Shop, in dem er die Hautcremes verkauft. Seitdem ich New York 2003 verlassen habe, fliegt Neal mich ein paar Mal im Jahr für Arbeitstreffen ein. Manchmal nach New York, manchmal nach Paris oder London.
Es war ein langer, anstrengender Tag. Seit drei Tagen arbeite ich mit Neal und seiner Marketing-Managerin an einem Relaunch seines Online-Shops. Nun ist alles fixiert, und meine Arbeit in New York ist getan. Ich könnte eigentlich wieder nach Hause fliegen, hänge aber noch ein paar Tage dran, um meine alte Stadt zu genießen. New York hat sich verändert. Die Stadt ist amerikanischer und oberflächlicher geworden. Oder bin ich es, der sich verändert hat? Vielleicht liegt es auch daran, dass ich jetzt beim alten Erzfeind in Russland wohne. Wer weiß? Irgendwie ist New York mir fast fremd. Es ist nicht mehr die Stadt, die ich so geliebt habe. Ich habe einen kurzen Anfall von Sentimentalität. Wünsche mir mein Partyleben im East Village zurück. Die verrückten Leute. Mein kleines Apartment, das ich mir mit Kina, dem Laufsteg-Model, geteilt hatte. Kina war eine wunderschöne Frau. Halb aus Belgien und halb aus dem Kongo. Sie hatte aber auch viel afrikanisches Temperament und war eine Dramaqueen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich frage mich, warum New York die Menschen so in den Bann zieht. Warum kommen sie alle, ich auch, hierher, um es mit einem Leben hier zu versuchen? Dabei ist die Stadt oft so hart und unwirtlich. Alles ist so teuer. Man arbeitet sich kaputt, nur um die Miete und die Einkäufe bezahlen zu können. Noch dazu lebt man in Lärm und Dreck. Ist es das wert? Warum? Wofür?
Ich stehe am Straßenrand und genieße die letzten Sonnenstrahlen, bevor sie hinter den Wolkenkratzern verschwinden. Ich mag die Park Avenue und die Upper East Side nicht. Hier wohnen die gut betagten New Yorker: Banker, Ärzte, Manager. Hier ist es sauber und langweilig. Um einen herum ein Haufen konservativer Amerikaner, die entweder die Republikaner oder die Demokraten wählen. Beide Parteien sind Mist. Ich frage mich sowieso, wie eine Demokratie mit einem Zweiparteiensystem funktionieren soll. Egal, das ist Sache der Amerikaner. Ich halte die Hand hinaus, um eines der vielen gelben Taxis heranzuwinken. Nur schnell weg von den reichen Söhnchen der Stadt. Ich will wieder hinunter in den dreckigen Teil der Stadt, das Village.
Wie immer, wenn ich in New York bin, wohne ich bei meinem Freund Francois Portmann, einem Schweizer Fotografen, der schon seit 25 Jahren in New York lebt. Vor zwanzig Jahren war das East Village noch ein Drecksloch. Das war es sogar, als ich 1997 nach New York gezogen bin. Damals standen an den Straßenecken Drogendealer, und auf der Straße fand man jede Menge seltsamer Charaktere: Punks, Rapper, Puerto Ricaner und Rocker. Alle im gleichen Stadtviertel. Mehr oder weniger friedlich zusammen. Gegenüber von Francois Wohnung ist immer noch das Hauptquartier der Hells Angels, und ich kann von meinem Zimmer aus das Treiben vor deren Haus verfolgen. Doch auch das East Village ist sauber geworden. Punkclubs, Tattoo-Studios und Comicshops mussten schließen und wurden durch Starbucks und Urban Outfitters ersetzt.
Es ist das Schicksal fast aller coolen Stadtviertel. Irgendwann werden sie trendy, und die Yuppies ziehen ein und treiben die Preise hoch. Dort, wo früher die Punks abhingen, fährt gerade eine Mitte-Dreißigerin ihr Baby in einem 1000-Euro-McLaren-Buggy spazieren und schlürft einen Latte aus einem Pappbecher. „Es ist eine Schande, das Village so vor die Hunde gehen zu sehen“, raunzt Francois, aber auch er hat resigniert. Zu oft hat er überlegt, wegzuziehen. Vielleicht nach Brooklyn. Vielleicht zurück in die Schweiz. Aber er lebt schon so lange in seiner kleinen East-Village-Maisonette-Wohnung auf der Avenue A zwischen der 3rd und 2nd, dass er nicht mehr weg kann.
Er hat Wurzeln geschlagen, und die 60 Quadratmeter mit kleiner Terrasse sind nun sein Zuhause. Man verpflanzt keinen alten Baum, auch wenn das Drumherum nicht mehr stimmt und es schwerfällt, sich anzupassen.
Außerdem lebt Francois schon seit seinem New Yorker Anfang mit Shannon, einer Chinesin, die so sanft und beständig wie das Wasser selbst ist. Was würde sie in den Schweizer Bergen anfangen? Sie wurde in Queens geboren, und ihre Eltern sprechen immer noch nicht Englisch. Was sollten sie ohne Shannon tun? Wie könnte sie ihre Stadt verlassen? Also bleibt auch Francois, obwohl er eigentlich ein Naturbursche durch und durch ist. Ich verstehe sowieso nicht, wie er es so lange auf der Insel Manhattan ausgehalten hat. Es scheint, als sei das Fremde für ihn Zuhause geworden.
Ich bekomme kein Taxi, obwohl die Park Avenue zur Hälfte aus gelben Autos zu bestehen scheint. Doch keines hat ein grünes Licht auf dem Dach, und wenn doch, ignorieren mich die Fahrer. Es ist Rushhour, und noch ziehen die Autos zügig an mir vorbei. Normalerweise würde ich die Subway nehmen, aber gerade hat Neal mir bei der Verabschiedung noch tausend Dollar Cash in die Hand gedrückt und gemeint: „Für die Spesen!“ Damit gönne ich mir heute ein Taxi. Ich sehe bei der Fahrt gerne aus dem Fenster, lasse meine Gedanken schweifen und genieße die Fahrt durch Manhattan. Es ist egal, wenn wir irgendwann im Stau stehen und das Taximeter unaufhörlich weiterläuft. Ich habe heute eh nicht mehr viel vor. Vielleicht noch ein kühles Bier mit Francois auf der Terrasse trinken. Über die alten Zeiten schwafeln und einen Joint paffen.
Dann hält endlich ein Taxi. Ich steige ein und lasse mich auf den kalten Ledersitz fallen. „Hi! How are you?“, grüßt mich der Fahrer. Er hat einen indischen Akzent. Vorne, auf dem Armaturenbrett, steht eine kleine Stars-&-Stripes-Flagge. Ich blicke auf die Lizenz, die immer hinter dem Fahrer in der Trennwand steckt. Sein Name ist Mohammed Khan. Also kein Inder. Fast hätte ich einen Fehler gemacht, denn ich habe in der Vergangenheit gelernt, dass es das Schlimmste überhaupt ist, wenn man einen Inder für einen Pakistani, oder umgekehrt, hält.
„Salam“, antworte ich. „Ave A zwischen 3rd und 2nd.“ Der Fahrer schweigt kurz. „Entschuldigen Sie bitte“, antwortet er dann. „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber die Begrüßung Salam Aleikum ist nur unter Muslimen erlaubt.“
Nun schweige ich und bin überrascht, ja überrumpelt von seiner Direktheit. Die Muslime, die ich in New York nach dem 11. September getroffen habe, waren eher zurückhaltend. Doch mein Fahrer ist freundlich. Er scheint es nicht böse zu meinen. „Sind Sie Christ?“, fragt er hinterher, auch um die Unterhaltung in Gang zu bringen. Die meisten Taxifahrer reden gerne, egal ob in New York oder anderswo. Ich genieße diese Konversationen, denn man lernt immer ein bisschen über den anderen.
Ich denke nach. Bin ich Christ? Getauft, ja. Evangelisch. Aber nach der Konfirmation war mir irgendwie alles egal. Gott? Ja, den gibt es sicher. Das ist so ein älterer Herr mit grauem Haar. Manchmal versuche ich, mit ihm zu reden, gerade, wenn es mir schlecht geht. Doch leider antwortet er nie. Dann geht es irgendwann auch wieder besser, und ich vergesse den älteren grauen Herrn mit Bart. Solange, bis ich wieder bis zum Hals in der Scheiße stecke und nächtens um göttliche Hilfe bitte. Der Rest der Geschichte? Jesus? Engel? Keine Ahnung. Bin ich Christ? Die Kirche kotzt mich an! Was machen die mit meiner Kirchensteuer? Ich habe mich nur noch nicht abgemeldet, weil sie ja doch das eine oder andere soziale Projekt finanzieren und betreuen. Christ? Ja. Gläubig? Nein.
Wie beantworte ich diese Frage nun? Der Fahrer wartet auf meine Antwort, also: „Ja, ich bin Christ! Und ich nehme an, Sie sind Muslim, richtig?“ Blöde Frage, aber irgendwie muss die Unterhaltung ja weitergehen. Bin mal gespannt, was als Nächstes kommt. Doch mein Fahrer schweigt. Er scheint nachzudenken und ist mit dem Verkehr beschäftigt. Vielleicht hat er auch keine Lust, sich mit einem Ungläubigen zu unterhalten, egal ob Christ oder jeglichen Glaubens. Doch ich gebe nicht auf: „Ihr habt es nicht leicht nach 9/11, oder?“
Mein Fahrer schweigt weiter.
Ich bin auch vor dem 11. September in New York Taxi gefahren. Damals war das Fremde noch präsent. Ich erinnere mich an Sikhs mit Turbanen oder einen Professor aus Nigeria, mit dem ich mich auf dem Weg zum Flughafen über Fela Kuti und die Politik seines Landes unterhalten habe. Damals wie heute gab es auch eine Menge Bangladeshi- und Pakistani-Taxifahrer. Sie waren stolz auf ihre Kultur und ihren Glauben und oft auch ein bisschen ruppig. Nach 9/11 gab es dann nur noch Amerikaner. Selbst die armen Taxifahrer aus den fernen Ländern mussten zu Amerikanern mutieren und Flagge zeigen. „Entweder du bist mit uns oder gegen uns“, war das Credo damals, welches sich in der Zwischenzeit in der amerikanischen Gesellschaft manifestiert zu haben scheint. Heute ist auch der pakistanische Taxifahrer ein Amerikaner. Deren Identität steht über seiner Herkunft. Schließlich hatte er beschlossen auszuwandern, das Glück in der Ferne bei den Amerikanern zu suchen.
„Wissen Sie!“, meint mein Fahrer plötzlich und bricht das Schweigen. „Wir Muslime haben eine Menge mit euch Christen gemeinsam.“
„Ach ja? Was denn?“, frage ich zurück.
„Wir feiern die Geburt Jesu, zum Beispiel.“
„Echt? Jesus?“, ich bin überrascht.
„Ja, Jesus existiert auch bei uns. Er ist ein Prophet. Einer der Wichtigsten nach Mohammed.“ Das wusste ich nicht. Es wird interessant. „Jesus sitzt im Paradies, im Himmel, wie ihr es nennt, neben Mohammed. Er ist sein Berater. Es steht auch im Koran, dass Jesus das Jüngste Gericht, die Apokalypse, bringen wird.“
Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe. Weder von der Bibel noch vom Koran in seinen vielen verschiedenen Auslegungen und Zusätzen. Ich habe schon während des Konfirmationsunterrichts nicht aufgepasst und kann gerade mal die zehn Gebote aufzählen.
„Interessant. Also feiert ihr Weihnachten, so wie wir?“, hinterfrage ich oberflächlich.
„Ganz so ist es nicht. Wir ehren den Tag der Geburt Jesu, aber es ist nicht so ein großes Fest wie bei euch.“ Interessant. Ich beschließe, ein bisschen tiefgründiger, aber auch formloser zu werden.
„Wie kommst du mit den Amerikanern klar?“, frage ich.
Der Fahrer überlegt kurz, bevor er antwortet. „Es ist nicht einfach. Viele sind freundlich, aber es gibt auch viel Misstrauen. Nach dem 11. September waren wir alle Terroristen in ihren Augen. Es hat lange gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe, immer erklären zu müssen, wer ich bin und warum ich hier bin. Manche Menschen hören trotzdem nicht zu. Aber Amerika hat mir eine Chance gegeben, und dafür bin ich dankbar.“
Ich nicke nachdenklich. „Es muss hart sein, so abgestempelt zu werden, obwohl man nur versucht, ein besseres Leben zu führen.“
„Ja“, sagt er. „Aber ich habe gelernt, mich nicht davon unterkriegen zu lassen. Ich bin hier, um meiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Und weisst Du, ich glaube daran, dass die meisten Menschen, egal woher sie kommen, gut sind. Die Angst macht sie schlecht.“
Seine Worte hallen in mir nach. Es ist eine einfache, aber kraftvolle Wahrheit, die oft unter dem Lärm und Chaos der Welt verloren geht. Wir fahren weiter durch die Straßen von Manhattan, und ich lasse meinen Blick über die endlosen Reihen von Hochhäusern schweifen.
„Warum bist Du nach Amerika gekommen?“, frage ich ihn schließlich.
„Für die Freiheit“, antwortet er ohne zu zögern. „In meinem Heimatland gab es keine. Mein Vater wurde ins Gefängnis geworfen, weil er die falschen Leute kritisierte. Hier habe ich das Gefühl, dass meine Kinder eine echte Zukunft haben können.“
Ich lehne mich zurück und lasse seine Worte auf mich wirken. Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und doch kämpft jeder, der hier lebt, seinen eigenen Kampf. Ich erinnere mich an meine Zeit in New York, an die harten Tage und langen Nächte, an die Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob es all die Mühe wert ist.
Wir kommen schließlich in der Avenue A an. „Hier ist es“, sage ich, während ich in meiner Tasche nach Bargeld suche. Der Fahrer dreht sich um und lächelt. „Vielen Dank für das Gespräch. Es hat gutgetan.“
Ich reiche ihm ein großzügiges Trinkgeld. „Danke, dass Du Deine Geschichte mit mir geteilt hast. Alles Gute für Dich und Deine Familie.“
Er nickt, bevor ich aussteige, und fährt dann langsam die Straße hinunter. Ich sehe ihm nach, bis sein Taxi in der Ferne verschwindet. In diesem Moment fühle ich eine seltsame Verbundenheit – mit ihm, mit der Stadt, mit all den Menschen, die hierherkommen und ihre Träume verfolgen, egal wie hart das Leben ist.
Ich stehe vor Francois’ Haustür und drücke den Klingelknopf. Es ist spät, und der Tag hat mich nachdenklich gemacht. Als ich die Treppen hinaufsteige, weiß ich, dass ich wieder hierherkommen werde, zu dieser Stadt, die einen immer wieder überrascht – auf die gute wie auch die harte Tour.
Ich klopfe leicht an Francois’ Tür, und schon öffnet er, ein breites Grinsen im Gesicht. „Na, endlich zurück! Wie war dein Tag in der Upper East Side? Haben dich die Yuppies verschluckt?“ Seine ironische Art hat sich über die Jahre nicht verändert. Ich lache und ziehe meine Schuhe aus, bevor ich ins Wohnzimmer gehe.
Die Wohnung ist gemütlich, wenn auch winzig, wie es typisch ist für New York. Bücherstapel auf dem Boden, Fotografien an den Wänden – eine Mischung aus Stadtlandschaften und Portraits, die Francois im Laufe der Jahre geschossen hat. „Setz dich, ich habe schon Bier kaltgestellt“, sagt er und deutet auf das Sofa.
Ich lasse mich aufs Sofa fallen, während Francois zwei Flaschen aus dem Kühlschrank holt. „Und? Hast du heute wieder interessante Menschen getroffen?“, fragt er neugierig, während er mir eine Flasche reicht.
„Einen Taxifahrer“, sage ich nachdenklich. „Ein Muslim aus Pakistan. Wir haben über Religion gesprochen, über die Schwierigkeiten, die er hier erlebt hat, und über seine Träume. Es war ein seltsames Gespräch – ehrlich, aber auch irgendwie schwer.“
Francois nickt. „New York ist so. Jeder hat seine Geschichte. Manchmal schön, manchmal tragisch. Aber es sind diese Geschichten, die die Stadt lebendig machen.“
Ich nehme einen Schluck Bier und schaue aus dem Fenster. Die Geräusche der Stadt dringen gedämpft durch die Glasscheiben – ein Hupen in der Ferne, das Summen eines Helikopters. Die Straßen wirken von hier oben friedlich, fast surreal. Es ist, als würde die Stadt eine Pause einlegen, bevor sie wieder in ihr chaotisches Tempo verfällt.
„Weißt du, Francois, ich frage mich manchmal, warum ich hierher zurückkomme“, sage ich schließlich. „New York hat sich verändert. Die Energie ist nicht mehr dieselbe, oder vielleicht bin ich es, der sich verändert hat. Aber irgendwas zieht mich trotzdem immer wieder zurück.“
Francois grinst und lehnt sich zurück. „New York ist wie eine alte Liebe, die man nie ganz vergisst. Sie hat Fehler, sie macht dich manchmal wahnsinnig, aber du kommst immer wieder zu ihr zurück. Weil sie dir das Gefühl gibt, dass alles möglich ist.“
Ich lache leise. „Vielleicht hast du recht. Aber ich vermisse das alte New York. Die dreckigen Straßen, die rebellischen Menschen, die ungeschminkte Ehrlichkeit. Jetzt fühlt sich alles so … glattgebügelt an.“
„Das ist der Lauf der Dinge“, sagt Francois mit einem Schulterzucken. „Die Welt verändert sich, und wir mit ihr. Aber die Essenz von New York, dieser unbändige Wille, etwas Großes zu erreichen, die bleibt.“
Wir schweigen eine Weile, trinken unser Bier und lassen die Gedanken treiben. Schließlich greift Francois nach einer kleinen Dose auf dem Tisch und rollt einen Joint. „Zum Abschluss eines langen Tages“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen. Ich nicke und nehme einen tiefen Zug, während die vertraute Wärme durch meinen Körper strömt.
„Weißt du, ich habe heute wieder an Kina gedacht“, sage ich plötzlich. Francois schaut mich neugierig an. „Ach ja? Die Dramaqueen?“
Ich lache. „Ja, genau die. Ich frage mich, was aus ihr geworden ist. Wir hatten so eine verrückte Zeit damals. Sie hat mich wahnsinnig gemacht, aber gleichzeitig habe ich noch nie jemanden getroffen, der so voller Leben war.“
Francois lächelt. „Manche Menschen bleiben in deinem Kopf, egal, wie viel Zeit vergeht. Vielleicht, weil sie dir etwas beigebracht haben. Oder weil sie einfach unvergleichlich waren.“
Ich nicke zustimmend, nehme noch einen Zug und lehne mich zurück. Die Müdigkeit des Tages holt mich ein, aber ich fühle mich auch seltsam erfüllt. Es ist, als hätte ich ein kleines Stück von New York wiedergefunden, das ich verloren geglaubt hatte.
„Weißt du, Francois“, sage ich leise, „egal, wie sehr ich mich über diese Stadt beschwere, ich glaube, ich werde immer wieder kommen. Weil sie mich inspiriert, weil sie mich herausfordert, weil sie mich an meine Grenzen bringt.“
Francois hebt sein Bier. „Auf New York, die verrückte alte Liebe.“
Ich hebe mein Bier und stoße mit ihm an. „Auf New York.“