Die Ein-Stunden-Nummer-für-100-Euro ist einfach nichts für mich. Beim Sex muss man sich doch Zeit lassen, mal leidenschaftlich, dann wieder zärtlich sein – und dabei bloß nicht auf die Uhr schauen. Dann gibt es Nächte, in denen man total betrunken in so einen Laden einläuft und mal schnell den Gegenwert eines 5-Sterne-Urlaubs versäuft und verfickt, ohne zu kommen, denn du bist ja eh viel zu besoffen. „Herr Ober, noch eine Flasche Veuve Clicquot, bitte!“ Einen anständigen Champagner gibt es in diesen Etablissements ja sowieso nicht.
So ungefähr sieht das dann aus: Am Eingang steht ein echt fieser, angsteinflößender Typ. Die Dame kommt aus Osteuropa und nennt mich fortwährend „Schätzchen“. Schätzchen hier, Schätzchen da. Ich komme mir vor wie ein Stück Ware auf dem Fließband. Man merkt, dass ich schon der zigste Freier an diesem Tag bin, und sie mich schnell wieder loshaben will. „Komm rein, Schätzchen. Spritz ab, Schätzchen. Geh heim, Schätzchen.“ Bezahlen muss man ja sowieso immer im Voraus. Mit dem Geld kann man echt Besseres anfangen.
Ich war auch schon mal auf dem Straßenstrich. Frag mich nicht, was mich damals geritten hat. Ich denke, es war eher die Neugier als der Trieb. Ich kurve mit meinem Mietwagen an den Frauen vorbei. Endlich gefällt mir eine halbwegs. Sie ist ausnahmsweise mal nicht über fünfzig oder ein Rubensmodell. Für 50–100 Euro (je nach Programm) verspricht sie mir den Himmel. Ich muss zu ihr in den Bus steigen. Das ist kein ausgebauter Camper, sondern ein Lieferwagen mit Matratze auf der Ladefläche. Auch sie nennt mich „Schätzchen“. Dort hinten ist es feucht, und ich beginne, mir Sorgen über die Hygiene zu machen. Wie viele Männer waren heute schon vor mir hier? Ich denke an einen alten, verschwitzten Mann, der nackt genau dort sitzt, wo ich jetzt sitze, und es schüttelt mich unweigerlich. Sie schaut mich überrascht an. „Ist alles okay?“ Die Dame fasst mich mit einem Zewa-Tuch an – das beruhigt mich zwar, ist aber nicht unbedingt sexy. Der Rest war so monoton und schlecht, dass ich nicht einmal darüber schreiben mag. Nach zehn Minuten verlasse ich den Lieferwagen, ohne befriedigt zu sein. „Ist schon okay. Du kannst das Geld behalten. Ciao!“
New York. Ich sitze mit meinem besten Freund und zwei seiner Bekannten in einer Bar. Nach ein paar Drinks kommt heraus, dass er auf S&M steht. Auch eine neue Erkenntnis – und das nach so vielen Jahren Freundschaft. Die beiden Mädels sind Dominas. Ich kann ein Anfänger-Freundschafts-Special verhandeln und kann nun auch das abhaken, ohne mich finanziell zu ruinieren. Während der knappen drei Stunden hat wenigstens keiner auf die Uhr geschaut. Wie auch? Die Dominas hatten alle Hände voll zu tun. Was genau dort passiert ist, darüber will ich hier nicht schreiben. Ich bin immer noch traumatisiert! Oft genug werde ich von den stern.de-Redakteuren daran erinnert, dass wir auch minderjährige Leser haben. Wer ein wenig Erfahrung und Fantasie hat, kann sich vorstellen, wie das abgelaufen ist. Nur war es … schlimmer? Extremer? Intensiver? Man stelle sich einen halbwegs dominanten Mann vor, der in die Sklavenrolle gesteckt und ordentlich verdroschen wird. Oft wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Am Ende stellt sich jedoch die Frage, warum man das Extreme überhaupt braucht. Nach dieser Erfahrung denke ich, dass ich doch mehr auf die Kuschelnummer stehe. Wenigstens hat man mich hier nicht „Schätzchen“ genannt.
Na ja, obwohl … leidenschaftlich und wild sind schon nicht ohne. So wie im Porno vielleicht. Mit viel Geschrei, Strapsen, High Heels, 1000-fachem Stellungswechsel, vorne, hinten, oben, links, rechts … Am Ende ein Feuerwerk, wie in einem dieser Streifen aus den USA. Maximum 20 Minuten Länge. Meistens nur 6 Minuten.
Hin und wieder hat man eine „Amateur-Pornodarstellerin“ im Bett. Das finde ich nicht schlecht, wenn es authentisch rüberkommt und meine Partnerin das auch genießt und es mir nicht nur vorspielt. Das komplette Programm gibt es allerdings nie, irgendetwas fehlt immer. Manchmal fehlen die High Heels, dann schreit sie wieder zu laut, oder sie mag meine Lieblingsstellung einfach nicht. „Und Baby, lass doch bitte die Unterwäsche noch ein bisschen länger an. Du siehst gut darin aus. Manchmal besser als ohne.“
Moment! Eigentlich mag ich die Kuschelnummer doch lieber. Oder doch nicht?
Wahrscheinlich liegt es in unserer Natur, dass wir immer das wollen, was wir gerade nicht haben. Habe ich die Pornodarstellerin im Bett, dann wünsche ich mir etwas zum Kuscheln. Es ist selten, dass man einen Partner findet, der beides kann. Heute mal Porno und morgen Kuscheln, übermorgen Domina oder Sklavin. Man sucht ständig nach dem Kick in immer neuen Abenteuern und Extremen. Dabei bekommt man nie genug, doch es geht doch eigentlich nur um die Abwechslung. Nicht immer die gleiche Stellung und das gleiche Programm. Das Spiel, die Stimulation der Sinne – und nicht um das Supermodel, den Pornstar, die Domina oder die Prostituierte. Von Letzterem lasse ich nun sowieso die Finger. Es geht mir nicht ums Geld, sondern um die Erfahrung. Die wenigen Male, die ich es probiert habe, waren eine Enttäuschung.
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