Mafia, Bodyguards und Kokain

Krysha Mira Mornings
Nach einer Nacht im Moskauer Nachtleben, zwischen Cocktails, Clubs und einem Barkeeper in SS-Uniform, finde ich mich um 9 Uhr morgens vor dem Spiegel wieder. Der Club Krisha, berühmt für seine selektive Türpolitik und seine Mischung aus Kreativen und Yuppies, bietet alles – von exklusiven Themenabenden bis hin zu verbrauchten Prostituierten, die für Luxus leben. Zwischen Gesprächen über russische Werte und Bodyguards, die höflich zum Gehen auffordern, bleibt die Frage: Wer konsumiert hier wen – ich das Leben oder das Leben mich?

Nach insgesamt zehn Stunden im Second Life mache ich den Computer aus. Ich werde weder auf den Hype aufspringen noch jemanden mit einem weiteren Second-Life-Artikel langweilen. Stattdessen gehe ich heute Abend lieber mit Alex und Ilka aus. Das echte Leben will gefeiert werden. Die beiden sind neu in Moskau, und ich werde ihnen einen der besten Clubs zeigen.

Zum Aufwärmen schlürfen wir ein paar Cocktails in der trendigen Suzy Wong Lounge und lauschen den besten DJs der Stadt. Danach möchten die beiden noch in einen Club. Also gehen wir ins Krisha. Das heißt „Dach“, ist aber auch ein Wortspiel mit dem Begriff „Krisha“, was in Russland so viel wie den Schutz der Mafia oder des Geheimdienstes beschreibt. Der Club befindet sich in einem alten Fabrikgebäude, und auf dem Dach gibt es eine riesige Terrasse mit Blick auf den Moskva-Fluss und die beiden neuen, höchsten Hochhäuser Europas. Die Terrasse ist im Winter überdacht.

Das Krisha ist nicht der nobelste Club Moskaus, aber einer der coolsten. Wie üblich in Moskau, ist es schwer, am Türsteher vorbeizukommen. Sie selektiert ein handverlesenes Publikum aus Kreativen, Yuppies und trendigen Clubbern. In der Lounge begrüßt uns ein Franzose. „Ah, ihr seid Deutsche… bla bla bla.“ Er trägt einen Designer-Anzug und eine teuer aussehende Sonnenbrille. Nach einer Weile Smalltalk meint er: „Entschuldigt mich bitte, ich muss kurz auf die Toilette, mir eine Line reinziehen und ein Ecstasy einwerfen.“ Ilka ist leicht schockiert. Ich grinse nur. Das ist eben Moskau.

Erst jetzt fällt mir auf, dass unser Barkeeper eine alte SS-Uniform anhat. In der Lounge läuft das gesamte Personal in Nazi-Uniformen herum. Es scheint irgendein Themenabend zu sein. Ich fühle mich 70 Jahre in die Vergangenheit versetzt, irgendwo in einer Berliner Bar. Oder 20 Jahre in die Zukunft, kurz nachdem Schirinowski und seine Nationalisten mit einer wilden Schießerei am Roten Platz die Macht übernommen und die Oligarchen zum Teufel gejagt haben. Eine weibliche Bedienung trägt ebenfalls Uniform. Sie sieht aus wie eine Flugbegleiterin aus einer Lufthansa Ju-52 von 1938. Ich stelle mir die Kleine mit einer Peitsche in der Hand vor, und obwohl ich mir nichts aus S&M mache, finde ich die Idee irgendwie sexy.

Irgendwann gegen sechs gehen Alex und Ilka nach Hause. Ich hätte mitgehen sollen, doch wie so oft bekomme ich nicht genug vom Nachtleben und bleibe. Ich stehe an der Bar der Dachterrasse und rede mit dem Barkeeper. Der ist eigentlich Tätowierer, arbeitet aber am Wochenende hier im Club. Vor mir tanzen zwei verbrauchte Nutten. „Und? Wie findest du die?“, fragt er. Ich kann es verstehen, wenn man sich prostituiert, um durchzukommen oder die Familie zu ernähren. Es ist schon pervers, dass viele der Mädchen hier es nur machen, um sich am nächsten Tag ein Paar Dolce-&-Gabbana-Jeans kaufen zu können. Wenn sie es aber tun, um sich die Lippen aufspritzen und die Nase operieren zu lassen, sagt das schon viel über Russland und die Konsumgesellschaft mit ihren verschobenen Wertevorstellungen. Findest du nicht? Außerdem gehen die wohl alle zum selben Chirurgen, denn irgendwie sehen sie alle gleich aus. Lippen und Nase sind heute im Sonderangebot. Kommt zu zweit, und ihr bekommt den Doppelpack zum halben Preis.“

Hm, dort drüben tanzt ein Mädchen, und sie trägt meinen Pulli. Den hatte ich vorhin auf einer Couch abgelegt. Ich gehe zu ihr hinüber und lächle. „Hey, das ist meiner.“ Sie grinst, tanzt mich an und schiebt mir ihre Hände unter mein T-Shirt. An ihrem Tisch sitzen zwei finster dreinschauende Gorillas. „Gehören die zu dir?“, frage ich. „Ja, das sind meine Bodyguards“, sagt sie selbstverständlich, und wir tanzen weiter. Nach einer Weile gibt sie mir meinen Pulli zurück.

Ich gehe kurz an die Bar, um mir noch ein Red Bull gegen die Müdigkeit zu holen. Dann steht einer der Bodyguards neben mir. „Du gehst jetzt besser nach Hause“, meint er freundlich, aber bestimmt. Für einen Moment will ich widersprechen, doch dann schaue ich auf die Uhr. Es ist neun Uhr morgens, und eigentlich hat er völlig recht.

Zuhause betrachte ich mich im Spiegel. Ich bin ziemlich fertig. Habe das Leben wieder mal zelebriert und konsumiert. Oder konsumiert es mich? Vielleicht hätte ich doch besser Second Life spielen sollen. Das ist wenigstens nicht so anstrengend, und von den 150 Dollar, die ich letzte Nacht versoffen habe, könnte ich mir jede Menge sinnlosen Kram im SL kaufen.

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