Nachdem ich im Oktober 2003 in Moskau angekommen bin, verfolgten viele meiner Freunde aus Deutschland und New York gespannt mein neues Leben in der russischen Hauptstadt. Für die meisten war Moskau bis dahin eine unbekannte Größe – zwischen Neugier und Sorge fragten sie sich, was mich wohl dazu bewogen hatte, dorthin zu ziehen, abgesehen von der Bolshoi-Ballerina.

Damals waren soziale Medien noch nicht mein Ding, und um nicht ständig die gleichen Fragen beantworten zu müssen, begann ich, ein Blog auf WordPress zu schreiben. Dieses Moskau-Blog fand nicht nur bei meinen Freunden großen Anklang, sondern auch bei vielen anderen Lesern, die mehr über das Leben in der Metropole erfahren wollten.

Drei Jahre später erhielt ich eine E-Mail von einer Freundin, die für stern.de mehrere Blogs ins Leben rufen sollte und Autoren suchte. Zwar gab es kein Honorar, aber ich dachte mir, ein Blog auf einer der größten deutschen Nachrichtenwebseiten könnte nicht schaden – schließlich ist der Stern ein bekanntes Magazin.

Mein erstes Telefonat mit dem Geschäftsführer von stern.de werde ich nie vergessen. Ich war gerade zu Besuch in Deutschland, saß im Auto meiner Mutter, die mich vom Flughafen abgeholt hatte. Das Gespräch war schnell erledigt, und ich war überrascht, wie viele Freiheiten man mir ließ. Es gab keinen Redakteur, der das Projekt beaufsichtigte, und ich vermutete, dass Blogs damals einfach niemanden interessierten. Am Ende des Telefonats fragte ich, worüber ich schreiben solle. „Moskau interessiert die Leute nicht so sehr“, meinte der Geschäftsführer. „Statistiken zeigen, dass Sex oder Tiere am besten laufen. Am besten schreibst du über Sex mit Tieren.“ Sprachlosigkeit. Nach einer Pause fügte er hinzu: „Ich weiß, das ist traurig. Aber so ist das nun mal.“

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Ich begann also, über Sex und andere besondere Erlebnisse zu schreiben – aus meiner Vergangenheit und meinem aktuellen Leben in Moskau. Nach drei Jahren stellte ich das Blog ein, doch die Artikel findet ihr heute hier auf meiner Webseite.

Während meiner Zeit bei stern.de meldete sich ein großer Berliner Verlag bei mir und bot mir an, ein Buch zu schreiben. Doch die Bedingung, dass sie das Buch zwar drucken und vertreiben, aber nicht bewerben würden, gefiel mir nicht. Ein Jahr später meldete sich ein Literaturagent, und zwei Jahre später unterzeichnete ich einen Vertrag mit Randomhouse für den Heyne Verlag. Im Jahr 2013 erschien schließlich mein Buch Fucking Moskau.

Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich bei meinem ersten Buch, Fucking Moskau, einen Fehler gemacht und zu nachgiebig gegenüber dem Verlag gewesen bin. Ich habe darauf vertraut, dass die Leute dort mehr Erfahrung haben und wissen, was sie tun. Heute, im Nachhinein, bin ich jedoch weder mit den Edits und der Umstrukturierung noch mit dem Cover zufrieden. Der Verlag wollte mehr Sex und alles detaillierter und expliziter ausgeführt haben, während ich eigentlich ein Buch mit Kurzgeschichten über mein Partyleben in Moskau schreiben wollte. Sex sollte nur eine Nebenrolle spielen, und in Details wollte ich nur dann gehen, wenn sie für die Geschichte von besonderer Relevanz waren.

Mein Buch war ursprünglich wie ein gut durchwachsenes Kobe-Wagyu-Steak – eine Mischung aus Fleisch und Fett. Das „Fleisch“ waren die Lifestyle-Geschichten, das „Fett“ die Sexstories. Natürlich macht das Fett den Geschmack aus und verleiht dem Steak das Besondere, aber niemand will nur Fett essen. Schon beim Schreiben ekelte mich der Gedanke, zu viel Gewicht darauf zu legen. Doch der Verlag entschied, Fleisch und Fett zu trennen: ein Drittel Lifestyle am Anfang und danach zwei Drittel Sex. Dass das nicht den Geschmack der meisten Leser trifft, hätte eigentlich klar sein müssen. Zu allem Überfluss fielen auch einige der besten Geschichten – laut Aussage der Verlegerin – komplett heraus.

Als Neuling war ich dennoch dankbar, überhaupt bei einem so renommierten Verlag wie Randomhouse untergekommen zu sein. Deshalb hielt ich den Mund und akzeptierte alles so, wie es war. Außerdem habe ich an dem Buch finanziell gut verdient, was letztlich ein kleiner Trost war.

2023 lief der Vertrag aus, und ich erhielt die internationalen Rechte an meinem Buch zurück. Heute, nach Beginn des Ukraine-Krieges, ist Moskau für mich und viele andere nicht mehr attraktiv. Ich habe die Stadt verlassen und mich klar von Russland distanziert. Doch ich möchte meine Erlebnisse dokumentieren: die Vorgeschichten aus New York, Paris und Berlin, die das Buch inspirierten, die unveränderten Geschichten in der richtigen Reihenfolge, Outtakes, die es nicht ins Buch geschafft haben, und neues Material, das in Fucking Moskau 2 erscheinen könnte. Mein erstes Buch deckt nur die ersten sieben Jahre in Moskau ab; die folgenden zwölf Jahre bieten noch viele Geschichten bis zum bitteren Ende 2022.

Ein letzter Punkt: Oft wurde ich gefragt, ob ich vieles in meinem Buch erfunden oder übertrieben hätte – sogar von anderen Expats in Moskau, die Ähnliches erlebt haben könnten. Ich stelle hiermit klar: Alles im Buch ist genau so passiert. Ich habe lediglich Namen und Orte geändert und die Timeline der Stories angepasst, um sie lesbarer zu machen.

Wenn man sich nicht auf Abenteuer einlässt, weil man Angst vor Konsequenzen hat, wird man sie nie erleben. Ich bin oft den extra Schritt gegangen – nicht für euch oder das Buch, sondern für mich und meine Lebenserfahrung. Und natürlich auch für den Spass. Ich schreibe diese Geschichten, um sie zu teilen und euch zu unterhalten, nicht um damit anzugeben.

Viel Spaß beim Lesen!

Euer Chris Helmbrecht

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