Wo beginnt das Fremdgehen? Im Kopf, beim Kuss oder erst beim Sex? Gibt es die Traumfrau? Was an ihr ist Wirklichkeit, und was ist Traum? Ich denke, ich habe meine Traumfrau vielleicht schon einmal getroffen …
„Wie sieht deine Traumfrau aus?“, fragt Dominik.
„Ich weiß es nicht“, ist meine Antwort.
„Du musst doch ein paar Vorstellungen, ein Bild im Kopf haben. Eine Liste mit Werten, die sie erfüllen sollte?“
„Nein, ich habe kein Bild im Kopf, und warum sollte ich eines haben? Die Traumfrau gibt’s doch eh nicht. Mit diesen Wahnvorstellungen mache ich mich nur verrückt.“
Es gab da vor ein paar Jahren allerdings schon mal eine Traumfrau. Leider kann ich bis heute nicht unterscheiden, was an ihr real und was Traum war.
Pierre stürmt in mein New Yorker Büro. „Hey, ich hab uns zwei Dates für heute Abend besorgt.“
„Du meinst dir“, antworte ich, denn ich habe eine relativ gut laufende Beziehung seit drei Jahren.
„Okay, dann bleibst du eben zuhause und lässt dir das Dinner mit den Models entgehen“, antwortet Pierre.
„Was? Models?“
„Ja, ich hab in der Subway ein Mädchen getroffen und sie angesprochen. Sie hat uns zum Dinner mit ihrer Model-Freundin Kina eingeladen“, sagt Pierre.
Hm, meine Freundin ist eh verreist. Warum nicht? Es muss ja nichts passieren, und es ist sicher unterhaltsamer, als zuhause vor der Glotze zu sitzen.
Der Japaner räumt gerade den Tisch ab, das Essen war hervorragend und teuer. Kina hat ihren Freund, einen arroganten Fotografen, mitgebracht. Pierre umschwärmt Stephanie, die Italienerin. So hatte ich mir das tolle Dinner mit den Models nicht vorgestellt. Kina ist müde und geht mit ihrem Fotografen nach Hause. Pierre lädt Stephanie zu mir ein.
Hoffentlich lehnt sie ab, dann kann ich zuhause noch ein bisschen Playstation spielen und gemütlich einen rauchen, denke ich mir.
Wir sitzen an dem alten runden Tisch in der Ecke meines West-Village-Apartments. Draußen hupen die Taxis auf der Bleecker Street. Wir trinken Wein und unterhalten uns. Stephanie flirtet mit mir, und jedes Mal, wenn sie mich ansieht, ist das wie ein Stich in mein Herz. Das geht schon seit Tagen so. Pierre und Stephanie kommen jetzt jeden Abend vorbei.
Nein, es ist nicht lästig. Ich freue mich sogar darauf. Pierre hat längst aufgegeben. Wir sitzen zusammen, und sie flirtet mit mir, doch will ich das? Ich habe doch eine Freundin. Auf der anderen Seite bin ich längst verliebt. Ich kann es nicht leugnen. Ihre Augen, ihre Stimme, was sie sagt – alles an diesem Mädchen zieht mich an. Ich bin hin- und hergerissen.
An diesem Abend will Stephanie nicht mit den anderen nach Hause gehen. Sie bleibt noch länger bei mir. Wir trinken Rotwein, reden und hören Musik. Dabei kommen wir uns sehr nah, aber irgendwie bin ich verwirrt, habe Angst und mache einfach nicht den ersten Schritt.
Wir sehen uns tief in die Augen, und es ist still. Das ist der Moment, in dem ich sie küssen sollte, aber ich tue es nicht. Das Ganze wiederholt sich. Mein Herz springt unruhig hin und her. Warum, verdammt, mache ich nicht den ersten Schritt? Dann geht sie um drei in der Früh nach Hause. Ich bringe sie noch zum Taxi hinunter. Als ich zurück die Treppe hinaufgehe, seufze ich laut. In dieser Nacht kann ich vor Aufregung nicht schlafen. Morgen fliegt sie zurück nach Rom.
Vor ihrem Abflug kommt Stephanie noch schnell bei mir vorbei. Ich bin extra über Mittag nach Hause gefahren. Wir trinken Kaffee und verabschieden uns. Sie dankt mir für die „wundervollen“ Abende hier in New York. Mein Herz springt wieder, und ich bekomme kaum Luft. Irgendwie ist es jetzt, am Tag und ohne Alkohol, viel nüchterner. Trotzdem bin ich Hals über Kopf verliebt. Meine Gefühle spielen verrückt. Soll ich sie jetzt küssen?
Nein, jetzt ist es zu spät, und sie fliegt gleich zurück nach Rom. Chance verpasst! Stephanie steigt in ihr Taxi und fährt davon. Uff, was für ein Erlebnis. Was für eine Frau! Kaum zu glauben, dass sie mich wollte. Mich, ja mich. Vielleicht war sie die Traumfrau? Die Frau fürs Leben? War es Bestimmung?
Jetzt sitzt sie im Taxi zum Flughafen und in Kürze fliegt sie aus meinem Leben. Ich Idiot, ich hätte sie küssen sollen. Na ja, wenigstens war ich treu. Meine Freundin ruft sicher heute noch an. Wenigstens kann ich dann so tun, als wäre nichts gewesen. Ja, ich bin treu geblieben und kann mir selber auf die Schulter klopfen.
Am Abend komme ich nach Hause. Der Anrufbeantworter blinkt. Das ist sicher Mary Claire, meine Freundin.
„Hallo, hier ist Stephanie. Ich dachte, ich kläre vor meiner Abreise noch ein paar unausgesprochene Dinge. Ich habe mich in dich verliebt! Du bist der beste und netteste Mann in meinem Leben. Ich hoffe, wir können uns bald wiedersehen. Ruf mich an und schreib mir eine E-Mail. Bitte, bitte! Ich werde versuchen, bald wieder nach New York zu kommen, um dich wieder zu …“
PIEP! macht der Anrufbeantworter. Ich hätte gerne noch mehr gehört. Noch mehr von ihrer Stimme und ihr gehabt. Ich bin traurig und glücklich zugleich. Sie sitzt nun im Flieger irgendwo über dem Atlantik. Am liebsten würde ich zurückrufen. Ihr sagen, was ich für sie empfinde.
Ich schaue aus dem Fenster, hinunter auf die Autoschlange, die hupenden Taxis, und lasse die letzten Tage noch einmal an mir vorbeiziehen. Dann klingelt das Telefon. Für einen Moment denke ich, es ist Stephanie, aber die sitzt noch im Flieger. Am Telefon ist meine Freundin.
„Stimmt was nicht?“, fragt sie nach einer Weile. „Du bist anders als sonst.“
„Nein, es passt schon. Ich hab nur Ärger und Stress in der Firma.“
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