Die letzten Tage war ich noch schnell in München, bei meiner Familie und um Kunden zu treffen. Ich bin gern in München, denn die „Weltstadt mit Herz“ hat immer etwas zu bieten. Münchens kleines Nachtleben ist oft interessanter als das von New York, Moskau oder London. Fragt mich nicht, woran das liegt, aber wenn ich in München weggehe, dann ist immer etwas los. Damit meine ich nicht die Musik oder die Münchner Bussi-Gesellschaft, sondern die besonderen Erlebnisse, die einem noch lange in Erinnerung bleiben. Ich gehe höchstens einmal im Monat aus – aber dann richtig. Meine Freunde wollen es dann genießen, und egal, ob ich gerade in Paris oder München bin, ich werde mit Longdrinks vollgepumpt und muss mir jeden neuen und hippen Club in der Stadt ansehen.
So stand ich vor ein paar Monaten im Münchner „Eight Seasons“, einem dieser Schicki-Clubs. Das Publikum trug Anzüge und schlürfte sündhaft teure Drinks. Die Stimmung war so lala, und mir blieb nur die Flucht in die Welt der Wodka-Red-Bulls. Mein Freund Daniel ist Münchens Party-König. In jedem Club der Stadt gibt es eine Flasche Wodka mit seinem Namen drauf. Daniel mag asiatische Mädels mit so exotischen Namen wie „China Tina“, und wir gehen regelmäßig auf Tour, wenn ich in München bin. Als es spät wurde, schlug er vor, noch in einen Underground-Club auf der anderen Seite der Maximilianstraße zu schauen. Ich war eigentlich müde, aber okay, dann gehen wir halt noch auf einen Absacker. Von außen deutete nichts auf einen Club hin, aber Daniel ging zielstrebig zu einer Tür. Dahinter dröhnte House-Musik, und wir waren wieder voll im tobenden Nachtleben.
Daniel musste zur Bar, um seine Wodka-Flasche zu organisieren. Ich musste aufs Klo. Als ich wiederkam, stand er neben einer Braunhaarigen. Ich war nicht mehr ganz nüchtern, aber ich dachte, sie sei nicht hässlich. Ein Blick von oben nach unten reichte: normales Gesicht, gute Figur, aber wohl ein bisschen betrunken oder zugekokst. Daniel hatte sie gerade erst kennengelernt und stellte mich kurz vor. Die Braunhaarige sagte mir ihren Namen, und ihr zweiter Satz haute mich fast aus den Latschen: „Wenn du deine Hose aufmachst und deinen Schwanz rausholst, dann blase ich dir einen.“ Ich war schockiert, dachte, ich hätte mich verhört. Na klar, zu viele Wodka-Red-Bulls, sagte ich mir. Fünf Minuten später stand ich mit einem breiten Grinsen an der Bar. Der Barkeeper mixte mir gerade einen Drink, während die Braunhaarige zwischen mir und der Bar kniete und mir einen bläst.
Aha, so ist das in den Münchner Clubs. So etwas erlebe ich weder in New York noch in Moskau (wo man es erwarten würde). Na klar, das ist sicher die Ausnahme und könnte überall passieren, urteilt der objektive Beobachter, aber das war nicht mein letztes Münchner Aha-Erlebnis. Ein paar Monate später war ich wieder in München und mit Daniel unterwegs. Es war fünf Uhr morgens, und wir gingen nach dem berühmten (aber auch eher langweiligen) P1-Club woandershin zu einem Absacker. Ich steuerte geradewegs auf die Bar zu, um eine Runde Red-Bulls zu holen. Neben mir stand eine hübsche Mulattin. Ein bisschen groß, aber alles am richtigen Fleck, und die Proportionen stimmten auch. Kurz danach waren wir im Gespräch. Ihr Name war Larissa, und ich durfte ihr eine Cola ausgeben. Sie war 24 und kam aus Brasilien. Wow, ein Volltreffer, dachte ich, merkte aber, dass ich doch schon gut betrunken war. Es fiel mir schwer, nicht zu lallen und mich auf mein Gespräch zu konzentrieren.
Eine halbe Stunde später saßen Larissa und ich im Taxi zum nächsten Club. Ich wäre ja gern direkt zu ihr oder zu mir nach Hause, aber sie wollte noch weiter Party machen. Sie warnte mich vor ihrem Ex-Freund. Der wäre vielleicht auch dort und nicht ganz happy, wenn sie mit einem neuen Mann auftauchte. Hm, musste ich mir Sorgen machen? Egal, klasse Frau, und was sollte schon passieren? Man kannte Larissa in dem Club, und wir wurden an der Eingangsschlange vorbeigewunken und zahlten nicht mal Eintritt. Ich ging die nächste Runde Drinks holen, während Larissa nach Freunden Ausschau hielt. Als ich zurückkam, stand Larissa bei einer Gruppe Brasilianer. Die Jungs waren durchtrainiert, wie man sie am Strand von Rio nicht anders erwarten würde. Als ich noch überlegte, ob ich wirklich herübergehen sollte, winkte sie mich zu sich. Wir redeten ein paar Worte, und mit Erstaunen stellte ich fest, dass die Jungs ausnahmslos schwul waren. Mein Gehirn begann zu ticken, aber Larissa sah meinen Gesichtsausdruck und ließ mich gar nicht lange überlegen. „Weißt du, ich bin eine gaaaanz besondere Frau“, flüsterte sie mir mit ihrer erotischen Stimme zu. Okay, ich geh dann mal kurz aufs Klo und danach ins Bett. Es waren wohl doch zu viele Wodka-Red-Bulls. Ich konnte nicht einschlafen und dachte über Larissa und das Phänomen von Männern mit großem Busen und Frauenstimme nach. Irgendwann döste ich endlich ein und war ausnahmsweise froh, doch allein nach Hause gegangen zu sein.
So ist München immer für eine Überraschung gut. Nur schade, dass man nach einer Weile eben auch eine gewisse Erwartungshaltung entwickelt. So war ich auch letzten Samstag nach einer langen Nacht mit meinem Schwager wieder auf einen letzten Absacker unterwegs. Meine Freunde und mein Schwager hatten sich längst verabschiedet, und ich stand allein mit meinem Drink in der Ecke, als mich ein Mädchen angrinste. Nach einer Weile kamen das Mädchen und ich ins Gespräch. Wir tanzten, lachten und flirteten ein wenig. Ein durchgeknallter Südamerikaner gab am Ende noch eine Runde Champagner aus, und als im Club die Lichter angingen, dachte ich ans Nachhausegehen. Ich fragte mich eh, warum ich es nie vor neun Uhr morgens ins Bett schaffte. Mein Schwager meinte, ich hätte das Gefühl, ja sogar Angst, etwas zu verpassen. So ganz unrecht hatte er da wohl nicht. Draußen war es längst hell. Ich stieg in ein Taxi voll mit Leuten. Wir fuhren noch wo hin zur After-Hour, sagten die Jungs. Eigentlich war ich nur eingestiegen, weil das Mädel von vorher vor mir einstieg und immer noch vielversprechend grinste.
Zwei Stunden später saß ich auf einem Flachdach irgendwo im Münchner Westen. Die anderen tranken Wein, während ich langsam in der Sonne eindöste. Um zwei Uhr nachmittags war ich dann endlich zu Hause. Immer noch total betrunken und mit einem fiesen Sonnenbrand im Gesicht. Das Mädel, sie war übrigens 31, war mit einem 19-Jährigen nach Hause gegangen. Aber ich habe ja gelernt, dass es nicht unbedingt schlecht ist, allein nach Hause zu gehen. Wer weiss, was für Überraschungen noch auf einen warten.
Na ja, mal sehen, was München beim nächsten Besuch zu bieten hat. Jetzt bin ich erst mal wieder auf dem Weg nach Moskau. Oh, und da kommt auch schon die Ansage: „Meine Damen und Herren, wir befinden uns im Landeanflug auf Moskau. Bitte schalten Sie nun wieder Ihre elektronischen Geräte ab und überprüfen Sie Ihre Sitzgurte …“. Bis demnächst also.
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