Samstagmittag und wir sind schon wieder unterwegs. In der Bäckerei gibt es Pain au Chocolat und Baguette zum Frühstück. Der Espresso vertreibt den letzten Schlaf aus meinen Augen. Die letzte Nacht in Paris war lang. Wir fahren zu Pierres Vater, der direkt neben der Place de la République wohnt.
Pierre ist ein echter Pariser, seit Generationen. Seine Eltern sind beide Professoren, doch Pierre hat sich entschieden, nicht zu arbeiten – sehr zum Unmut seiner Eltern. Auf dem Weg zu seinem Vater halten wir an der Seine, um zwei Tüten alte Kleidung bei den Obdachlosen abzugeben, die dort campen. Pierre erklärt, dass die meisten von ihnen aus Osteuropa kommen und hier gestrandet sind.
Pierres Vater hat eine wunderschöne Altbauwohnung. Die langen Fenster stehen offen, und ein mildes Lüftchen weht durch die Räume. Unten plätschert der Kanal, und gleich daneben beginnt der lange unterirdische Kanaltunnel, durch den täglich zahllose Touristenboote geschleust werden. Über dem Tisch hängt ein Kronleuchter, dessen Kerzen seltsam verdreht und verwunden aussehen. Ich frage, ob das Kunst ist, und Pierre lacht. „Nein,“ meint er. „Die Kerzen sind von der Hitze der letzten Wochen weich geworden und haben sich so verformt. Aber irgendwie sieht es jetzt aus wie Kunst.“ Wir überlegen kurz, ob wir sie so lassen sollten.
Wie viele Pariser flüchtet Pierres Vater vor dem heißen Sommer in der Stadt. Er besitzt ein Haus auf dem Land, das besonders in dieser Jahreszeit sehr gelegen kommt. Nachdem wir uns verabschiedet haben, fahren wir weiter zur Champs-Élysées. Nein, kein Touristenprogramm – Pierres neue Freundin Fany wohnt dort und hat uns eingeladen. Fanys Familie gehört zum alten französischen Adel und verfügt über mehrere Anwesen. Ihre Eltern sind derzeit auf dem Land.
Bei Fany trinken wir eine Flasche Wein und unterhalten uns. Anfangs fühle ich mich in der gediegenen Umgebung etwas fehl am Platz. Doch als Fany eine CD mit Musik aus den 60ern auflegt und Velvet Underground aus der alten Anlage dröhnt, fühle ich mich plötzlich um 40 Jahre zurückversetzt.
Nach dem Abendessen treffen wir Greg im „Bertie“. Er sitzt in einer internationalen Runde – Amerikaner, Expats aus der ganzen Welt und ein paar Europäer. Nach etwa einer Stunde will die Gruppe weiterziehen. Viele der besten Clubs in Paris haben Sommerpause. Das Rex ist bis Ende August geschlossen, also beschließt die Gruppe, ins VIP zu gehen. Ich frage mich, ob ich mit Turnschuhen und T-Shirt überhaupt reinkomme, doch sie meinen, ich soll mitkommen. Wir sind etwa 15 Leute und es stehen viele Leute am Eingang in einer Schlange. Doch jemand kennt den Türsteher, und schon kurz darauf sind wir drinnen.
Zielsicher steuern die Jungs den VIP-Bereich an. Wenig später haben wir einen Tisch. Danach kommt ein Kübel mit einer Magnum Flasche Champagner und einer 2-Liter-Wodkaflasche. Spätestens jetzt fühle ich mich unwohl. In meinem Kopf läuft ein altes Biergartenlied: „Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld? Wer hat so viel Pinke Pinke, wer hat so viel Geld?“
Die Gruppe bleibt im VIP-Bereich, wo es neben einer kleinen Tanzfläche auch reichlich Platz zum Sehen und Gesehenwerden gibt. Ich entdecke zwei ältere Geschäftsleute, eine Gruppe Spanier mit Südamerikanern, unsere Runde und noch ein paar einsame Herzen – alle unter 30, ausgestattet mit einem großzügigen Partytaschengeld der Eltern.
Ich bin immer noch nervös und will keine 2000 EUR für die Rechnung beisteuern. Ich sage meinem Freund Greg, dass ich mich mit einem Vorwand aus dem Staub machen werde, um nicht auch etwas zahlen zu müssen. Er lacht laut und sagt mir, dass ich mir keine Sorgen machen und den Abend geniessen soll. Zwei der Jungs, von unserer Gruppe, am Tisch sind aus Kuweit und haben schon alles mit ihrer Kreditkarte bezahlt. Wir sind alle eingeladen. Mir fällt ein Stein von Herzen.
Nach ein paar Wodka Red Bull tanze ich bis in den Morgen. Rede mit wildfremden Leuten und flirte mit dem ein oder anderen Mädel. Und natürlich bedanke ich mich bei den Kuweitis für den netten Abend.
Um fünf Uhr früh mache ich mich langsam auf den Heimweg. Ich beschließe, ein Stück zu Fuß zu gehen, die frische Luft zu genießen und den Sommer in Paris auf mich wirken zu lassen. Ich gehe an der Seine entlang und betrachte die Boote und versuche, noch trotz meines Rausches, noch ein paar Fotos zu machen.
Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung mehr, wie ich zurück nach Hause gekommen bin, aber irgendwie schafft man es dann doch immer und das sogar ohne ausgeraubt zu werden.
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